Das Nachtsicht Festival 2025 wird in Zusammenarbeit mit der litauischen Kuratorin Agnė Bagdžiūnaitė und im Gespräch mit Kunstarbeiter*in Airi Triisberg aus Tallinn entwickelt und bringt Positionen aus den baltischen Ländern mit Positionen aus Stuttgart und der Umgebung zusammen.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Krieges und der politischen und kulturellen Konflikte in Europa ist dieses Kunstfestival eine kollektive Untersuchung von Nähe, Intimität und dem transformativen Potential des Zusammenseins. Hier ist die Beziehung sowohl Thema als auch Methode. Ob durch queere Verwandtschaft, kollektive Trauer, sinnliche Rituale oder geteilte Verwundbarkeit – das Festival stellt Kunst in den Vordergrund, die auf Nähe besteht und sich den Kräften widersetzt, die versuchen, zu trennen, zu schweigen oder zu kontrollieren. Dies ist nicht nur ein Fest, sondern eine Rückgewinnung: des Raums, der Körper, des Rechts, zu fühlen, zu berühren, zu begehren und Widerstand zu leisten – gemeinsam.
14.+ 15. November 2025
BRüCKENSTUDiOS auf dem Rilling Sekt Areal
Brückenstraße 8, Bad Cannstatt
Freier Eintritt
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Freitag 14. November
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17:00 Landung Türen und Bar sind geöffnet.
18:00 untitled Live Soundperformance
Augustė Vickunaitė ist eine Klang-Experimentalistin mit einem Hintergrund in Physik. Augustė verwendet ausschließlich analoges Tonband, um vielschichtige Aufnahmen – darunter Fundmaterial, Feldaufnahmen, Stimme, Musikinstrumente, Objekte und das gesamte Spektrum der Fehlfunktionen alternder Technologie – zu erzeugen. Augustė spezialisiert sich auf Tape-Musik, Noise und Soundkollage und ist bekannt für ihren theatralischen und düster-humorvollen Ansatz, bei dem sie oft Fehler analoger Audiogeräte nutzt.
18:40 Mood Machine Live Soundperformance
Für djytb ist jedes Konzert eine singuläre Performance. Beim Nachtsichtfestival wird er mit und gegen seinen Laptop arbeiten, zwischen Alleinunterhalter, Percussionist, larger-than-live Persona und unheimlich naher Wohnzimmerbegegnung. Die fragmentierten, micro-dosed Songs sind Splitter von djytbs Versuchen des Bewahrens, Abstreifens, der post-ironischen Selbstreflektion. Dabei spielt djytb mit der Mehrdeutigkeit künstlerischer Identität und Autorschaft im post-indie/post-internet Zeitalter von KI-Musik, Viralität und Kommodifizierung.
19:15 Breathing Through Salt Water Willkommensworte
Das Nachtsicht Kollektiv und Agnė Bagdžiūnaitė heißen euch herzlich Willkommen.
20:15 Nogake II Installation
Nogake bedeutet in der alten japanischen Sprache eine Mahlzeit im Freien. Dabei genießt man die Jahreszeit und saisonales Essen. Nogake II ist der Titel der mobilen Installation von Künstler Shinroku Shimokawa, die als Tisch und Projektionsfläche funktioniert.
20:15 ⏳ 55’00” Three Boarders Film (DE, RU, ENG Subtitle)
Alisa Berger erstellt Filme und Installationen, oft in einem kollaborativen Prozess, die durch performative Eingriffe begleitet, geschaffen, verändert oder zerstört werden. Beim Nachtsicht Festival wird ihr 55-minütiger Found-Footage-Film Three Borders gezeigt. Im Stil des Magischen Realismus erzählt das Video Anekdoten der Familien von Alisa Bergers jüdischem Vater und ihrer nordkoreanischen Mutter. Die zehn Geschichten thematisieren das Überwinden von inneren, äußeren, nationalen, ethnischen, spirituellen oder emotionalen Grenzen, die sich über drei Generationen erstrecken.
21:15 ⏳ 12’52’’ Xover Film (ENG, DE Untertitel)
Im Video Xover von Anastasia Sosunova geht es um Senukai, Litauens größten Baumarkt. Die 1992 gegründete Kette entstand und expandierte in einer Übergangsphase, in der das zusammengebrochene sozialistische System einer aufstrebenden liberalen Wirtschaft und damit dem Versprechen ewigen Wachstums wich. Der Senukai-Gründer expandierte später in verschiedene Bereiche, darunter einen Radiosender, Einkaufszentren und Wellness-Resorts und sogar seine eigene Religion. Wir begleiten eine Gruppe von Freunden auf einer DIY-Pilgerreise: Sie zitieren heilige Texte, führen Rituale durch und suchen nach religiösen Symbolen, die in Logos und Architektur des gesamten Geschäftsimperiums eingebettet sind. So stellen sie ihre Fangemeinde der »echten« Realität gegenüber – sofern es so etwas überhaupt gibt.
21:45⏳ 17’30” Night Gardener (Nakties Daržininkė) Film (ENG, DE Untertitel)
Der Film The Night Gardener (Nakties Daržininkė), geschrieben und inszeniert von Saskia Fischer, folgt einer surrealen Figur, die während der blauen Stunde durch dämmrige Landschaften streift. Wir hören ihre innere Stimme, ihre Gedanken darüber, ein fluktuierendes, migrierendes, sich wandelndes, ständig veränderndes Wesen zu sein, das die wechselnden Jahreszeiten spiegelt. Sie wird Zeug:in der unablässigen menschlichen Veränderung von Geografien und deren Auswirkungen auf Individuen und ihre Umgebung. Saskia ist eine bildende Künstlerin aus Stuttgart und Vilnius.
Samstag 15. November
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ab 14:00 Kaffee, Tee & Kuchen
14:00 ⏳ 2h30min Writing Bad Poetry Workshop
Sveta Grigorjeva ist eine estnische Choreografin, Tänzerin, Dichterin und Kritikerin. Beim Nachtsicht-Festival sind wir eingeladen, an ihrem Workshop für schlechte Poesie teilzunehmen. Wir werden erkunden, wie man bewusst ein schlechter Dichter sein kann. Wie können wir uns selbst und unser Schreiben emanzipieren, besonders wenn Literatur normalerweise als ein sehr prestigeträchtiges Medium gilt? Ein bad poet schreibt so, wie er*sie schreiben möchte: mit Albernheit, Freude, sanft und rau! Für sich selbst und für seine Verbündeten. Jede Person, die ihren inneren radikalen schlechten Dichter vermisst oder erforschen möchte, ist willkommen!
⚀ Um Anmeldung im Vorhinein per Mail ist gebeten
15:00 Auf den Fährten des Kellermeisters Mijo Kellerführung Rilling Areal (DE)
Für 25 Jahre arbeitet Mijodrag Markovic für die Rilling Sekt GmBH in Bad Cannstatt in der Weinbereitung. Jährlich begleitete er bis zu 3 Millionen Flaschen Sekt und Wein durch die weitläufigen Keller im getränketechnologischen Prozess. Er selbst hat in Sarajevo Weinbau und Önologie studiert. Für die Besucher*innen des Nachtsicht Festivals belebt er das leerstehende Areal mit seinen reichhaltigen und präzisen Erinnerungen und beleuchtet durch die Nacherzählung und im Gespräch mit Nachtsicht-Kuratorin und Winzerin Hannah Liya den Strukturwandel in der Weinbranche.
⚀ Begrenzte Teilnehmer*innenzahl! Anmeldung per Mail
16:00 Mein Herz ist ein Saphir Gesprächsrunde
»Je älter ich werde, desto schärfer wird mein Blick. Je älter ich werde, desto weniger ist alles klar«, singt der ukrainische Musiker Blooms Corda in Sapphire. Zwischen Schärfe und wachsender Komplexität verortet sich auch dieses Gespräch. Die Festivalakteur*innen Liza Baliasnaya, Alisa Berger und Maryna Zevako sprechen über emanzipatives künstlerisches Arbeiten im Kontext postsowjetischer Identitätsgeschichte in Deutschland. Moderiert wird das Gespräch von Agnė Bagdžiūnaitė, der Co-Kuratorin des Festivals.
17:00 ⏳ 45min Kõrgepingen, Überspannung, Tremble Storytelling Session (ENG)
Arle Saar ist eine Geschichtenerzählerin mit schlechter Gesundheit, die Nachmittagsspaziergänge als Arbeitsmethode nutzt. Während des Gehens lässt they deren Geist schweifen. In diesen flüchtigen Gedanken verflechten und trennen sich alltägliche Sorgen und kreative Fantasien, vermischen sich mit fragmentarischen persönlichen Erinnerungen und historischen Hörbüchern, die durch Kopfhörer abgespielt werden. Arle empfindet eine Verbundenheit mit den Randfiguren der Geschichte. Beim Nachverfolgen deren vergessenen Geschichten stört Arle gelegentlich den stillen Schlaf der Archivdateien.
18:00 Transient Flow Food Installation
In der ehemaligen Sektproduktion lässt die Künstlerin Sarai Rose Duke eine temporäre Struktur entstehen. Ein schwebendes Modul reagiert auf Überreste vergangener Nutzung. Alte Prozesse werden aufgenommen, Spuren gelesen und in neue Abläufe übersetzt. Der Raum wird Teil des Geschehens, sein rhythmischer Klang lässt ahnen, dass unter der Oberfläche noch etwas arbeitet. Ein hydraulischer Puls drückt irgendwo Wasser sich durch die Rohre. Der Pavillon wird zum Ort der Verdichtung: Geschmack als Material, Raum als Zutat. Zwischen industrieller Vergangenheit und ungewisser Zukunft scheint der Ort weiterzuatmen.
19:00 Shield Is A Weapon Dance
Die Soloperformance Shield is a Weapon von Liza Baliasnaya untersucht die doppelte Natur des Schildes – als Versprechen von Schutz, das zugleich die Erwartung von Konflikt signalisiert. Das Stück richtet den Fokus auf die soziale Choreografie von Gesten und Stimme und erforscht das Zusammenspiel von Verletzlichkeit und Aggression, Verhüllung und Konfrontation. Ein detaillierter, skulpturaler Bewegungsstil wird eingesetzt, der Qualitäten von Geschmeidigkeit und Festgefahrensein vermittelt. Zwischen den Perspektiven derjenigen hinter und vor dem Schild wechselnd, thematisiert die Arbeit Polarisierung, (Selbst-)Zensur und Politiken der Verteidigung.
20:30 ⏳ 60min The Spark Eine queere Flirtperformance (DE, EN)
ich sehe dich. ich mag dich. ich interessiere mich für dich. ich will dich zum lachen bringen. du machst mich nervös. ich will dir kleine dinge schenken. ist das ein flirt? flirten wir gerade?mit musik, text, und ihren körpern begeben sich die performenden von flirts&friends auf die suche nach antworten. the spark nähert sich dem spontanen, zwischenmenschlichen, aufregenden und fragt: was könnte ein flirt sein, wenn er mehr ist als eine vorstufe auf dem weg zu hochzeit oder sex? wenn er spaß macht, liebevoll ist, ziellos und unlinear?
22:00 WE ARE PROPAGANDA Party @ Hype Club
⚀ Um gemeinsam Party zu feiern, ziehen wir in den Hype Club weiter. Der befindet sich in der Schulstraße 3 in der Stuttgarter Innenstadt.
WE ARE PROPAGANDA ist eine queere Gegenkulturbewegung, die aus dem Wunsch heraus entstand, während des Baltic Pride-Marsches in Vilnius 2016 einen alternativen, sichereren Raum für Queers zu schaffen. Der Slogan der Lithuanian Gay League für die Veranstaltung in diesem Jahr lautete »Wir sind Menschen, keine Propaganda«. Subversiv von diesem Slogan inspiriert, erinnerte WE ARE PROPAGANDA damals und erinnert bis heute daran, dass Pride in erster Linie ein Protest war, und schlägt vor, auf eine Rhetorik der Entschuldigung und des Konformismus zu verzichten und gleichzeitig den neoliberalen Menschenrechtsdiskurs mit radikaleren Ideen aufzubrechen. Als selbstorganisiertes Kollektiv, das nach nichtkommerziellen und queer-feministischen Prinzipien arbeitet, verleiht es den Stimmen queerer Personen, die von Institutionen oft nicht anerkannt werden, Gehör, pflegt eine alternative Drag-Szene und arbeitet aktiv daran, das heteronormative Nachtleben zu verändern, indem es eine Alternative zum vorherrschenden neoliberalen LGBTQ+-Diskurs und zur Mainstream-Partykultur bietet.
fortlaufend
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Finding Center Everywhere
Finding center everywhere ist eine Arbeit über nomadisches Denken von Ingrid Helena Pajo und Eugenio Marini. Ohne einem Bedürfnis nach Sesshaftigkeit und klarem Ziel, sammelten sich – zeitgleich mit dem Sammeln von Materialien – Gedanken und Erfahrungen zu Lebensweisen in dieser Welt an. Die Fundstücke ließen sich zu Zelten und Teppichen formen – Orte der Ruhe, Erholung und Geborgenheit – und reflektieren die Entwurzelung des Nomadenlebens, dem Wandern als Lebensform.
Sauna Wellness
⚀ Handtuch einpacken & Bedürfnisse anmelden
Zum Aufwärmen von den Novembertemperaturen, Schwitzen, sich Austauschen oder als einfaches Waschritual wird eine kleine holzbeheizte Sauna zur Verfügung stehen. Zur Erfrischung wird es frisch abgefülltes Mineralwasser aus Auquell- und Lautenschlagerbrunnen geben.
Inspiriert von den Saunakulturen Estlands und Finnlands und dem festen Platz des alltäglichen gemeinsamen Saunierens dort, wurde die Sauna 2019 von der Künstlerin Martina Buck in Stuttgart gebaut.
Es darf nackt und in Badekleidung sauniert werden und wer in einer bestimmten Gruppe saunieren möchte, kann gerne vor Ort fragen oder Bedürfnisse vorab bei uns via Mail anmelden. Bringt bitte ein Handtuch mit. Eine Dusche ist vorhanden.
⏳ 21’30” Gay By Nature Film + Installation
Der Kurzfilm Gay by Nature von Isa Schieche und Helen Weber ist eine humorvolle antifaschistische Hommage an Heimatfilme und gleichzeitig eine filmische Gegenanalyse der traditionell kitschigen Darstellung von Natur, Landschaft und der darin vorkommenden Lebewesen. Die beiden Protagonistinnen, zwei lesbische Katzenmenschen, diskutieren das subversive Potential der Natur, während sie durch blühende Wiesen, brutalistische Architektur, Kohlegruben und innerstädtische Parks streifen. Als queere Außenseiterinnen überleben sie in einer totalitären, befremdlich erscheinenden dystopischen Wirklichkeit. Natur wird als vermeintlich normative Instanz unterwandert.
Nachtsicht Plakat-Illustrationen
Ich bin Ines Brost und ich zeichne. Comics lesen ist seit langer Zeit meine Leidenschaft, und seit nicht allzu langer Zeit zeichne ich auch selbst welche. Geschichten hören, erzählen, fühlen – das ist, was ich machen möchte, das ist was ich tue. Und am besten erzählen sich Geschichten in Gesellschaft. Für das diesjährige Nachtsicht Festival durfte ich die Illustrationen für Poster und co. gestalten. Das ist eine ganz wundervolle Sache, und ich bin so froh, dabei zu sein.
Bis bald, und euch allen eine schöne Nachtsicht!
Kuration ◌ Christine Koschel, Sophia Sadžakov, Agnė Bagdžiūnaitė, Hannah Liya
Im Gespräch mit ◌ Airi Triisberg
Technische Leitung ◌ Nadja Weber
Produktionsleitung ◌ Christine Koschel, Sophia Sadžakov, Hannah Liya
Illustration ◌ Ines Brost
Grafik Design ◌ Maryna Zevako